Tja, wo fangen wir an? Wir kommen aus mehr als 2 Jahren Pandemie. 2 Jahre, in denen alles auf den Kopf gestellt wurde, was wir geschätzt haben, was unsere Routinen betrifft, unsere Geselligkeit, und Freizeitverhalten… 2 Jahre, in denen Familienbanden, Freundschaften und vieles mehr zu Bruch gegangen sind. 2 Jahre, in denen man eigentlich nicht mehr seine Meinung frei äußern durfte, ohne gleich als Aluhutträger, Querdenker oder Sonstiger abgestempelt zu werden.
2 Jahre, in denen Großeltern weder Kinder noch Enkelkinder in die Arme schließen konnten, wo Senioren in den Heimen isoliert und einsam die Zeit rumbringen mussten, 2 Jahre in denen die Studenten weder Partys, Freunde noch Unterricht hatten, 2 Jahre in denen Schüler nur Masken angeguckt haben, ob am Pult oder am Nachbartisch. 2 Jahre in denen Existenzen und ganze Firmen einfach aufgeben mussten, 2 Jahre, in denen der Grundstein für kommende Insolvenzen gelegt wurde, 2 Jahre in denen wir unser Kaufverhalten, unser Ausgehen, unsere Geselligkeit grundlegend verändert haben – und vieles davon nicht wiederkommen wird.
Nun könnte man freudig in Richtung Lockerung gehen und sehen, oder auch mit offenen Augen den Blindflug, in den wir alle gehen, verfolgen, aber der Tag musste kommen, und was danach kommt… schauen wir mal. Aber nein, die Situation wurde durch den Einmarsch der Russischen Armee in die Ukraine auf dramatische Weise neu durcheinander gewirbelt.
Auch wenn wir alle, nahezu weltweit, unschöne Jahre hinter uns haben, ist es doch im Vergleich zu dem Elend, das den unschuldigen Menschen in der Ukraine widerfährt, eigentlich fast nichts…
Wir haben genug zu essen, haben heile Dächer über dem Kopf und können uns nur sehr schwer vorstellen wie es wäre, wenn die Heimat einfach zerbombt wird, und man im schlimmsten Fall nicht die Möglichkeit hat zu fliehen.
Der Osten testet den Westen und das gesamt-westliche System, und wir, als Teil des Westens, können maximal reagieren, jedoch nicht agieren. Menschen, Städte und ganze Landstriche werden zum Spielball eines Diktators, ein Land, das stark gegenhält, eine starke Moral zeigt und ein bisschen „David gegen Goliath“ aufkommen lässt.
Es sind schlimme Zeiten für den Weltfrieden. Selbst Deutschland, das seit dem zweiten Weltkrieg ja nun eher konservativ und minimalistisch in Sachen „Armee“ und Ausrüstung unterwegs ist und war, rüstet auf. Nicht nur ein bisschen, sondern ein Sondervermögen von 100 Mrd. Euro wird bereitgestellt. 100 Milliarden sind 100.000 Millionen, nur um dem Ganzen etwas Gewicht zu geben. Es wird die Möglichkeit des Kaufs eines „Iron Dome“ geprüft…. Zwar klingt die Gefahr weit entfernt, ist sie aber nicht. Keine 1000 km trennen uns vom Ort des Schreckens, eine Strecke, die man (freie Autobahnen vorausgesetzt) in gerade mal 8 Stunden locker schaffen kann.
Die Gefahr ist real, und die Not der Menschen ist es auch. Umso schöner ist es zu sehen, dass wir als Nation nach wie vor sehr hilfsbereit sind. Ein Kollege erzählte mir gerade gestern, dass er einen wichtigen Business-Termin in Warschau hatte, Verdi aber der Meinung war nach 2 Jahren nahezu ohne Flugbetrieb erstmal streiken zu müssen, er also das Auto nehmen musste. Er sagte mir, dass die Strecke in Polen ein langer Konvoi aus Hilfstransporten war. Teilweise professionell, teilweise privat.
Er traf einen älteren deutschen Herrn an einer Tankstelle in Polen, der sein Auto bis unter das Dach vollgeladen hatte mit Windeln, Konserven, Decken und Ähnlichem und nur meinte, „da kann man ja nicht einfach nur zugucken“… Recht hat er, und stellen wir uns alle vor, wir wären in einer solch katastrophalen Situation – ich würde mir nichts mehr wünschen als hilfsbereite Nachbarn, die einfach nur die Grundbedürfnisse bereitstellen würden.
Aber nicht nur außerhalb unserer Landesgrenzen gibt es Probleme und Bedürfnisse, auch bei uns direkt vor der Tür. Wie die meisten Marburger sicherlich wissen, sitzen wir mit unserer Agentur im Steinweg, der natürlich schönsten Straße der Stadt… bitte nicht den Fahrbahnbelag mit einbeziehen… und unseren lieben Nach-barn, der Elterninitiative für leukämie- und tumorkranke Kinder e.V., die ausschließlich von Spenden leben, haben die letzten 2 Jahre auch durchaus zugesetzt.
Wenn Unternehmen weniger Umsätze fahren, Privatpersonen in Kurzarbeit sind, dann sitzt der Euro auch nicht mehr so ganz locker… in erster Linie sind wir uns selbst der Nächste.
Maslow hat diesen Zustand und das pyramidenartige Zuspitzen unserer Bedürfnisse einst in seiner „Hierarchy of Needs“ einfach aber treffend analysiert und simuliert. Nach den eigenen Bedürfnissen kommt erst die Welt da draußen. Auch wenn das sicher von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, und die ein oder andere Phase vielleicht individuell früher oder gar später eintrifft – aber man ist sich immer/ oder meistens/ selbst der Nächste, und dann kommt der Rest.
Ich habe Marion und Karl, die wahrscheinlich bekanntesten Ge-sichter der Elterninitiative, getroffen und wollte wissen, wie es um den Verein steht, wie gut die betroffenen Familien derzeit unter-stützt werden können, und woran es fehlt.
Marion, Karl, Euch beiden zunächst vielen Dank für Eure Zeit. Für mich als Vater von zwei, glücklicherweise gesunden, Jungs ist es ohnehin schwer vorstellbar, welch schlimme Zeit Eltern und auch Kinder und Geschwisterkinder durchmachen, wenn eines der Kinder an Krebs erkrankt. Ich habe einen Teil meiner damaligen Zivildienstzeit in der alten Kinderklinik verbracht, und bei jedem Botengang innerhalb des Hauses gehofft, nicht durch die Kinderonkologie gehen zu müssen, da alleine der Anblick der kranken Kinder sehr schmerzte, und man so unglaublich hilflos ist.
Wie genau helft Ihr den betroffenen Familien?
Die Hilfe für die Familien ist sehr umfangreich. In Überschriften könnte man sagen, es geht um Information, Begleitung, Beratung und Unterstützung im Alltag. Unser Angebot erschöpft sich nicht in der Betreuung des kranken Kindes, sondern wir haben die gesamte Familie im Blick. Ist ein Kind krank, ist die gesamte Familie krank!
Wir bieten den Patientenfamilien emotionale Unterstützung, wir verbessern ihr Krankheitsverständnis und den Informationsstand in Bezug auf die Krankheit des Kindes, wir sind eine unterstützende Anlaufstelle, wir vernetzen die Familien untereinander, wir entlasten die Patienten im Alltag durch psychosoziale aber auch durch materielle/ finanzielle Unterstützung.
Was brauchen betroffene Familien in der Regel? Es ist ja oft sicher nicht nur finanzielle Unterstützung?
Das ist bei den einzelnen Familien sehr unterschiedlich, welche Angebote in Anspruch genommen werden. Die Diagnosestellung ist für alle Familien ein Schock, da werden in kürzester Zeit Gespräche mit den behandelten Ärzten geführt, mit einer Vielzahl von Informationen über die Erkrankung und die notwendige Therapie.
Das muss natürlich alles sehr schnell gehen, damit umgehend mit der Therapie begonnen wer-den kann. Die Flut der Informationen überfordert die Eltern in der Regel und sie sind froh, dass wir ihnen Zeit und Raum für ihre Fragen bezüglich der Krankheit, der Therapie und der evtl. zu erwartenden Probleme bieten können.
Wir bieten den Eltern immer auch Unterstützung bei der kindgerechten Aufklärung der betroffenen Kinder und Geschwister. Diese Gespräche ziehen sich durch die gesamte Therapie und oft auch darüber hinaus. Sehr oft geht es bei diesen Gesprächen um den Abbau von Ängsten und immer wieder neuen Mut zu schöpfen.
Je nach den Bedürfnissen der Familien bieten wir noch eine Vielzahl anderer Unterstützungsmöglichkeiten an. Ein großes Thema ist die Geschwisterbetreuung mit vielfältigen Aktivitäten wie z.B.: Bastelnachmittagen, Backaktionen, Ta-ges- oder Wochenendausflügen. Wir unterstützen die Familien bei sozialrechtlichen Fragen, begleiten sie bei Behördengängen (z.B.: Ausländeramt, Jugendamt usw.), aber auch zu anderen Stellen, wie Krankenkassen, medizinischer Dienst und vielen anderer Vertragspartnern.
Wir ermöglichen tiergestützte Therapie aber auch andere Möglichkeiten der Entspannung wie Hypnotherapie, Traumreisen oder Craniosacrale Entspannung. Unsere Erreichbarkeit ist über eine ständige Rufbereitschaft gesichert. Sicher spielt auch die finanzielle Entlastung der Familien eine Rolle. Hierbei handelt es sich um monatliche Zuwendungen und/ oder Einmalzahlungen.
Zum Schluss noch zu einem anderen Aspekt. In der Regel begleiten wir die Familien sehr eng, werden oftmals zu „Familienmitgliedern“ auf Zeit. Wenn die Therapie vorüber ist, lockert sich dieses Verhältnis meist wieder und die Kontakte werden seltener. Sollten die Kinder aber nicht gesund werden, begleiten wir sie auch beim Sterben. Meistens werden die Kinder heute zum Sterben nach Hause in ihre gewohnte familiäre Umgebung entlassen.
Auch in diesen belastenden und tieftraurigen Zeiten begleiten wir das sterbende Kind und sei-ne Familie. Das kann Tage dauern, manchmal auch viele Wochen oder Monate. Den Trauerprozess der Familien begleiten wir oft über Jahre.
Wer sind Eure Unterstützer?
Wir haben mittlerweile eine große Zahl an ehrenamtlichen Unterstützern, die uns immer wieder helfen.
Zum andern gibt es eine gute Zusammenarbeit mit der Psychologie und den Erziehungswissenschaften hier an der Marburger Uni, von denen wir regelmäßig Praktikanten bekommen, die mit großem Engagement bei uns tätig sind. Aber auch Privatpersonen bringen uns oft Sachspenden oder Kleiderspenden.
Als ausschließlich spendenfinanzierter Verein sind wir natürlich sehr froh, dass wir eine wachs-ende Zahl an Unterstützern aus gewerblichen Betrieben aus unserem Umfeld haben. Da gibt es Unternehmen, die uns schon seit vielen Jahr-en regelmäßig unterstützen. Aber auch von privater Seite werden Veranstaltungen für uns organisiert. Den größten Teil unserer Spenden machen aber nach wie vor die Spender aus , die anlässlich von Jubiläen, Familienfeiern, oder ähnlichen Anlässen an uns spenden. Dafür unseren herzlichen Dank.
Was hat sich in den letzten beiden Jahren geändert oder verändert?
Nun, in den letzten beiden Jahren haben wir keine öffentlichen Veranstaltungen durchführen können, wie das sonst von Frühjahr bis Herbst möglich war. Das hat natürlich finanziell weh getan.
Für unsere praktische Arbeit haben natürlich die notwendigen Hygienemaßnahmen auch eine starke Bedeutung gehabt. So vermeintlich „unbedeutende“ Dinge, wie einen Menschen zum Trost in den Arm zu nehmen, war z.T. nicht mehr möglich; direkte Kontakte waren oft schwer zu bewerkstelligen.
Ist bei den Spendern eine gewisse Tendenz feststellbar – entweder anonym oder Spende vor Ort?
Nach wie vor laden wir alle Spender zur Spendenübergabe in unseren Stützpunkt ein. Die meisten unserer Spender nehmen diese Treffen gern wahr, andere überweisen aber auch anonym. Da hat sich nichts geändert.
Was macht Euch und Euer Engagement so besonders?
Die Art unserer Unterstützung ist schon etwas Besonderes. Die familiäre Betreuung ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal, was uns von der Tätigkeit anderer Elterninitiativen unterscheidet.
Es hat vor nunmehr 12 Jahren einen kompletten Systemwechsel gegeben von der stationären Unterstützung des Krankenhauses hin zu einer direkten Betreuung der Patientenfamilien. In der Intensität der Beziehung direkt zu den Familien liegt sicher der Schlüssel unseres Erfolges.
Wie kann man Euch helfen? Und wohin spenden?
Uns ist sehr geholfen, wenn sich unser Bekanntheitsgrad steigert und die Spenden gehen bitte an: